Prof. Dr. Karl Böhm

Biografie als PDF mit Quellen und Literatur:
Karl Böhm dirigiert „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen 1938

Dirigent

* 28. August 1894 in Graz

† 14. August 1981 in Salzburg

Straßenbenennung: Dr.-Karl-Böhm-Weg, beschlossen am 13. Juli 1994

Lage: Aigen; Wegstück entlang des Aubaches zwischen der Zufahrt zur Finanzlandes-direktion und der Bürglsteinstraße.

 

Karl Böhm wurde am 28. August 1894 als ältester von drei Söhnen von Sophie und Leopold Böhm in Graz geboren. Sein Vater war Rechtsanwalt, begeisterter Wagnerianer und Musikkenner, der sich um das Grazer Konzertleben verdient gemacht hatte. Sowohl Leopold Böhm als auch die beiden Söhne Leopold junior und Walter waren Mitglieder des Akademischen Gesangvereines Graz (ab 1886 Deutscher akademischer Gesangverein, ab 1919 Akademische Sängerschaft Gothia zu Graz). Von früher Kindheit an im elterlichen Haus mit dem bürgerlichen Musikleben vertraut, wurde Karl Böhm wesentlich vom Einfluss seines Vaters geprägt. Leopold Böhm sorgte nicht nur für die musikalische Ausbildung seines Sohnes, der jedoch nie Mitglied der Sängerschaft wurde, sondern er bewirkte auch, dass sein Sohn Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz inskribierte. Falls er mit seinen künstlerischen Ambitionen scheitern sollte, verfügte er über die Aussicht, als Jurist in die Kanzlei seines Vaters einzutreten. Nach späterem eigenem Bekunden besuchte Böhm allerdings nie juristische Vorlesungen, sondern er eignete sich den Prüfungsstoff „mit Hilfe eines Paukers“ im Selbststudium an. Am 4. April 1919 promovierte er an der Grazer Universität zum Dr. jur. Seine wahre Leidenschaft galt ohnehin der Musik: Böhm studierte Klavier und Musiktheorie zunächst in Graz, dann ließ er sich in Wien als Privatschüler von Eusebius Mandyczewski, der zum engen Kreis um Johannes Brahms gehört hatte, in Harmonielehre, Kontrapunkt und Komposition unterrichten. Außerdem besuchte er musikgeschichtliche Vorlesungen bei Guido Adler und nahm regen Anteil am musikalischen Leben in Wien, wobei er vor allem Aufführungen in der Hofoper, im Musikverein und Konzerthaus besuchte.

 

Dirigentenkarriere vom Ersten Weltkrieg bis zur Weimarer Republik

Im Ersten Weltkrieg tat Karl Böhm zunächst als Korporal, später als Zugsführer Dienst in der Traindivision Graz, die das militärische Nachschubwesen organisierte. Nach einem Unfall mit einem Pferd wurde er 1916 als dienstuntauglich aus dem Heer ausgeschieden. Das Jahr 1917 markierte den Beginn seiner musikalischen Laufbahn: Durch Vermittlung des Dirigenten und Komponisten Georg Markowitz kam Böhm zunächst als Korrepetitor an die Grazer Oper, er bewährte sich aber rasch als Dirigent. Seine erste Opernaufführung leitete Böhm, der als Autodidakt nie einen regulären Kapellmeisterunterricht genossen hatte, am 17. Oktober 1917 am Stadttheater Graz mit dem „Trompeter von Säckingen“ des deutschen Komponisten Victor Ernst Nessler. Es folgten zahlreiche weitere Konzerte und Opernaufführungen, darunter Werke von Erich Wolfgang Korngold und Richard Strauss. 1919 wurde er zum zweiten Kapellmeister, 1920 zum ersten Kapellmeister der Grazer Oper ernannt.

Im Frühsommer 1921 lud Bruno Walter als Generalmusikdirektor der Münchner Oper Böhm dazu ein, an der Münchner Staatsoper den Posten eines dritten Kapellmeisters zu übernehmen. Böhms Wechsel nach Bayern lag eine Empfehlung des deutschen Dirigenten Karl Muck an Walter zugrunde. Der Kapellmeister folgte diesem Ruf, obwohl er damals bereits über die Aussicht verfügte, die Leitung des Grazer Opernhauses zu übernehmen. In Bruno Walter fand Böhm einen Mentor. Dieser brachte ihm auch die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts nahe, auf die er, wie er später bekannte, als damaliger „Wagnerianer“ noch „verächtlich“ heruntergeschaut hatte.

In München fand Böhm die Gelegenheit, „sein Repertoire mit einem außerordentlichen Ensemble zu studieren“ und war gezwungen, „vor Sängern, Musikern und Publikum von Format zu bestehen“. Gleichwohl begann sich der Dirigent schon 1924, als er in München bereits die Position eines ersten Kapellmeisters innehatte, für eine Stelle in Darmstadt zu interessieren, bis er 1927 schließlich ein Engagement als Generalmusikdirektor des Hessischen Landestheaters Darmstadt annahm. Im selben Jahr heiratete er die um neun Jahre jüngere Sopranistin Thea Linhard, die er bereits in München kennengelernt hatte. Sie brachte am 16. März 1928 in Darmstadt ihren einzigen Sohn Karlheinz zur Welt.

Als Darmstädter Generalmusikdirektor arbeitete Böhm mit Künstlern wie dem Bühnenbildner Wilhelm Reinking und dem Opernspielleiter Arthur Maria Rabenalt zusammen, die beide als „revolutionäre“ junge Talente galten und dem Darmstädter Theater den Ruf verliehen, „eine der modernsten Bühnen Deutschlands“ zu sein. Er selbst profilierte sich in Darmstadt ebenfalls als „Pionier der Moderne“, wobei er neben Ernst Krenek und Paul Hindemith vor allem Alban Berg und dessen Oper „Wozzeck“ seine Reverenz erwies, der zu den Darmstädter Aufführungen seines Werks auch persönlich anreiste.

Die nächste Karrierestation führte Böhm nach Hamburg, wo er 1931 neuerlich eine Stelle als Generalmusikdirektor übernahm. Dort wandte er sich verstärkt der Musik von Richard Strauss zu und studierte z. B. dessen Oper „Elektra“ ein. Nach eigener Aussage sei ihm damals – bereits 1932, also noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland – durch einen Hamburger Rechtsanwalt der Beitritt zur NSDAP nahegelegt worden. Er habe daraufhin erwidert, dass er „nie bei einer Partei“ gewesen sei und „nie einer beitreten werde“. Er sei einzig auf seine Musik eingestellt. Obgleich Böhm keiner Partei angehört haben mochte und er sich im autobiografischen Rückblick dezidiert unpolitisch gab, verdankte er seinen nächsten Karrieresprung wesentlich der direkten Intervention Adolf Hitlers, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll.

 

Aufstieg zu einem der führenden Dirigenten in der NS-Zeit

Seit dem Frühjahr 1933 war die Stelle eines Generalmusikdirektors an der Dresdner Staatsoper vakant. Der dortige Opernchef Fritz Busch war am 7. März 1933 nach einer Propagandahetze, die die lokalen Nationalsozialisten gegen ihn entfacht hatten, von Angehörigen der SA aus der Oper vertrieben worden. Hintergrund waren Vorwürfe gegen Busch, dass dieser ein „ausgesprochener Pazifist und Demokrat“ sei und „ausschließlich in den Kreisen von Juden, Demokraten und Warenhaus-Besitzern“ verkehrt habe. Böhm dürfte hingegen nach dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb „voll und ganz den ideologischen Kategorien der neuen Machthaber entsprochen“ haben, ohne dass er Parteigenosse gewesen sei. Letztere Auffassung wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass Böhm im Mai 1933 in den Vorstand der Vereinigung künstlerischer Bühnenvorstände e. V. aufgenommen wurde, die im Zuge der „Gleichschaltung“ auf die antisemitischen und völkisch-kämpferischen Richtlinien des Kampfbundes für deutsche Kultur (KfdK) ausgerichtet wurde. Bestellt wurde er hierzu von Hans Hinkel, dem Reichsorganisationsleiter des Kampfbundes für deutsche Kultur und Dritten Geschäftsführer der Reichskulturkammer. Böhm selbst erklärte sich brieflich „selbstverständlich gerne bereit, dem Rufe des Herrn Staatskommissars Hinkel Folge zu leisten“. Er werde „sehr gern an der konstituierenden Versammlung teilnehmen“.

Dass Böhm für die prestigeträchtige Stelle eines Dresdner Opernchefs in Frage kam, hatte auch damit zu tun, dass er bereits über Kontakte dorthin verfügte. Denn bereits vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ hatte der Dirigent einen Gastspielvertrag mit Dresden abgeschlossen. Von wesentlicher Bedeutung für seinen Karrieresprung war aber Hitlers persönliche Intervention, die dafür sorgte, dass er auf diese Position gehievt werden konnte. Obgleich die Verhandlungen bereits am 26. Mai 1933 abgeschlossen waren, sollte Böhm erst mit 15. Juni 1934 verbindlich an die Dresdner Staatsoper berufen werden. Hitler übermittelte dem Hamburger Senat aber seinen Wunsch, Böhm bereits zum 1. Jänner 1934 ausschließlich der Sächsischen Staatskapelle in Dresden zur Verfügung zu stellen. Böhm bezeichnete zwar später Buschs Vertreibung aus Dresden als „unschönen Weggang“; dieser sei schließlich „freiwillig in die Emigration gegangen“. Der kanadische Historiker Michael H. Kater attestiert dem damaligen Verhalten des Dirigenten jedenfalls nicht nur „Mangel an Takt und Mitgefühl, sondern ebenso extremen Karriere-Opportunismus auf Kosten des persönlichen Ethos“.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Böhms Laufbahn im „Dritten Reich“ steil nach oben wies, bilden die Bemühungen des Berliner Intendanten Wilhelm Rode, Böhm fest an das Deutsche Opernhaus Berlin zu verpflichten. Nach einem Einwand des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, der es „mit den Auffassungen des nationalsozialistischen Staates“ als „schlechterdings unvereinbar“ hielt, „einzelnen Künstlern zu Gagen zu verhelfen, die die Starbezüge der Systemzeit noch überschreiten“, kam es schließlich zu einem Kompromiss. Der Berliner Intendant vereinbarte mit Böhm, die Zahl der Dirigierabende je Neueinstudierung in Berlin zu erhöhen, sodass das Propagandaministerium letztlich zustimmte.

In den Jahren nach 1933 wurde Böhm zu einem „Bestandteil des nationalsozialistischen Kulturbetriebs“. Dies brachte es aber auch mit sich, dass er 1934 als Dirigent der Salzburger Festspiele nicht mehr in Frage kam. Vor allem für die ersten Jahre der NS-Herrschaft sind von Böhm zahlreiche öffentliche Äußerungen überliefert, in welchen er sich dem NS-Regime als loyaler Parteigänger anzudienen suchte. Dies bezog sich auch auf die kulturpolitischen Interessen der Nationalsozialisten gegenüber dem autoritären Schuschnigg-Regime in Österreich. So pries sich Böhm gegenüber dem Propagandaministerium dezidiert als „deutscher Dirigent“ an: „Es ist sicher im Sinne der Reichsregierung gelegen, wenn ich als deutscher Dirigent nach Wien gehe, um dort den zahlreichen Anhängern der nationalsozialistischen Idee neue Anregung zu geben, umso mehr als ich gebürtiger Österreicher bin.“

Wenige Monate später rühmte Böhm in einem Artikel „Die Musikkrise beseitigt!“, der gleichzeitig eine Wahlwerbung für die gleichgeschaltete Reichstagswahl vom 29. März 1936 darstellte, die musikpolitische Agenda des „Führers“ Adolf Hitler mit folgenden Worten: „Man darf getrost behaupten, daß die Krise, in der sich das musikalische Schaffen und die deutsche Kunst überhaupt befand, durch die umsichtige Fürsorge und das tiefe Verständnis des Führers für künstlerische Fragen (…) gebannt ist (…). Der Nationalsozialismus hat dem Musiker ein Ziel und eine Aufgabe gestellt, für die es sich lohnt, das ganze Können und die Arbeitskraft einzusetzen: dem deutschen Volk und seinen höchsten Kulturgütern zu dienen.“ Einer ähnlichen Diktion folgte Böhm in seinem programmatischen Essay „Der Weg der heutigen Musik“, den er 1939 in den „Blättern der Kameradschaft der deutschen Künstler“ zu Ehren von Hitlers Geburtstag veröffentlichte. Hier formulierte er u. a.: „Der Weg der heutigen Musik (…) ist gebahnt und vorgezeichnet durch die Weltanschauung des Nationalsozialismus.“ Für den Künstler sei es „höchst segensreich“, wenn er in diesem Geiste „für eine durch eine gemeinsame Idee verbundene Gemeinschaft“ wirken dürfe. „Rein künstlerische Experimente, die dem Empfinden der Allgemeinheit entgegenlaufen“, seien im NS-Deutschland ebenso „ausgeschaltet“ wie „alle etwaigen künstlerischen ‚Entgleisungen‘, die dem Volksempfinden nicht Rechnung“ tragen würden.

Mit derartigen Äußerungen legitimierte Böhm die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ und des „gesunden Volksempfindens“ ebenso wie die propagandistische Hetze der Nationalsozialisten gegen musikalische „Entartung“ und „Musikbolschewismus“, er enthielt sich aber antisemitischer Anspielungen. In der Literatur zu Böhm wird zwar seit langem dessen angebliche Erklärung kolportiert, dass er in der „Ostmark“ keinen Taktstock mehr in die Hand nehmen werde, solange dort auch nur einziger Jude lebe. Hierzu ist jedoch festzuhalten, dass ein Quellenbeleg für diese inkriminierte Äußerung nach wie vor fehlt. Solange die angebliche antisemitische Aussage Böhms nicht quellenmäßig nachweisbar ist, muss sie daher in die Sphäre des unbewiesenen Gerüchts verwiesen werden. Böhms forcierte Anpassungsleistung verfehlte gleichwohl ihre Wirkung auf NS-Größen wie Joseph Goebbels nicht. So notierte der Propagandaminister nach einem Besuch in Dresden: „(…) Nach der Oper noch lange mit Böhm parlavert (sic). Er ist ein kluger Kerl.“ Böhm genoss unter den Nationalsozialisten ein hohes Maß an Akzeptanz. Dies kam auch dadurch zum Ausdruck, dass er Richard Wagners Oper „Die Meistersinger“ mehrfach bei den Eröffnungsfeiern der Nürnberger Parteitage der NSDAP dirigierte sowie bei Jahrestagungen der Reichskulturkammer in Berlin auftrat.

Seiner Affirmation der NS-Kulturpolitik entsprach auch die Spielplangestaltung an der Dresdner Staatsoper, die Böhm an den politisch vorgegebenen Rahmen anzupassen suchte. Werke von Komponisten wie Alban Berg, Ernst Krenek oder Paul Hindemith, die er zuvor gefördert hatte, brachte er nicht mehr zur Aufführung. Solchermaßen gegen etwaige Angriffe aus dem Umfeld orthodoxer NS-Kritiker scheinbar abgesichert, meinte Böhm vermutlich über individuell erweiterte künstlerische Handlungsspielräume zu verfügen. So dirigierte er etwa Opern der zeitgenössischen Komponisten Robert Wagner-Régeny und Heinrich Sutermeister, „die so modern waren, wie es die Zeiten erlaubten“, und inszenierte Igor Strawinskys Ballett „Jeu de cartes“, das damals aber auch an anderen Bühnen aufgeführt wurde. In Dresden arbeitete Böhm mit dem Regisseur und dem Nationalsozialismus gegenüber ablehnend eingestellten Oscar Fritz Schuh und dem Bühnenbildner Caspar Neher zusammen. Zudem setzte er sich für den deutsch-baltischen Komponisten Boris Blacher ein, der nach rassistischer NS-Doktrin kein reiner „Arier“ war, als dieser 1938 eine Kompositionsklasse am Dresdner Konservatorium übernahm. Blacher verlor allerdings diesen Lehrauftrag, nachdem er sich für die Werke von Schönberg und Hindemith engagiert hatte.

Böhms kunstpolitischer Handlungsspielraum scheint auch an gewisse Grenzen gestoßen zu sein. Dies zeigte sich anlässlich der Affäre um die Uraufführung der Oper „Die Wirtin von Pinsk“ von Richard Mohaupt, die Böhm im Februar 1938 an der Semperoper dirigierte. Die beiden NS-Musikkritiker Erich Roeder und Herbert Gerigk – Letzterer, ein Mitarbeiter von Alfred Rosenberg, war Mitherausgeber des 1940 erschienenen antisemitischen „Lexikon der Juden in der Musik“ – polemisierten gegen die Aufführung dieses Werks, weil dessen Komponist mit einer russisch-jüdischen Geigerin verheiratet sei und sie diesen zudem der engen Bindung an die verhasste Jazzkultur verdächtigten. Als das Stück während einer vorübergehenden Abwesenheit Böhms von Dresden vom sächsischen Gauleiter Martin Mutschmann schließlich verboten wurde, verlangte Böhm vom Präsidenten der Reichstheaterkammer die Möglichkeit zur Rechtfertigung. Diese scheint dem Dirigenten allerdings nicht eingeräumt worden zu sein. Während Kater von einem „Verweis“ spricht, den Böhm bewusst „riskiert“ habe, relativiert Fred K. Prieberg diese Annahme. Er verweist darauf, dass die Aufführung offiziell angemeldet gewesen sei und der Komponist Mohaupt über eine Sondergenehmigung von Minister Goebbels verfügt habe. Andernfalls hätte sich Böhm nicht über die Anwürfe, die von nationalsozialistischer Seite gegen ihn erhoben wurden, bei der Reichstheaterkammer beschweren können.

 

Der „Anschluß“ Österreichs

Die Intrige der beiden Rosenberg-Apologeten Roeder und Gerigk richtete sich letztlich gegen Goebbels und das Propagandaministerium und war damit Ausdruck des NS-spezifischen Machtkampfes verschiedener Funktionärskader des Regimes. Die erzwungene Absetzung der Oper „Die Wirtin von Pinsk“ schadete Böhms weiterer Karriere jedenfalls nicht. Wenige Wochen später ließ sich der Dirigent neuerlich von den NS-Machthabern instrumentalisieren, als der „Anschluß“ Österreichs propagandistisch legitimiert werden sollte. So berichtete die gleichgeschaltete „Neue Freie Presse“ am 1. April 1938 über Böhms Auftritt im Wiener Konzerthaus, bei dem er auch das „Horst-Wessel-Lied“ erklingen ließ: „Als der Dresdner Generalissimus Dr. Karl Böhm, ein Sohn unserer Heimat (…), das Podium betrat und den deutschen Gruß entbot, war dies der Auftakt zum ersten festlichen Konzert im neuen deutschen Reich.“ Böhm wäre nicht dazu genötigt gewesen, sich mit dem „Hitlergruß“ an sein Publikum zu wenden. Das Propagandaministerium hatte nämlich bereits 1936 festgeschrieben, dass der „deutsche Gruß“ bei Symphoniekonzerten zwar erwünscht sei, aber keineswegs erzwungen werden sollte. Wenig später bekannte sich Böhm öffentlich als enthusiastischer „Anschluß“-Befürworter: Im Vorfeld der Volksabstimmung vom 10. April 1938, die den „Anschluß“ nachträglich legitimieren sollte, bewarb er diesen mit folgenden Worten: „Wer dieser Tat unseres Führers nicht mit einem hundertprozentigen Ja zustimmt, verdient nicht den Ehrennamen Deutscher zu tragen.“

Mit dem „Anschluß“ eröffneten sich für Böhm neue Möglichkeiten, wieder in Österreich aufzutreten. So gastierte er im Juni 1938 als Dirigent des „Rosenkavalier“ bei der Reichstheaterfestwoche in Wien (was Goebbels in seinem Tagebuch wohlwollend kommentierte) und debütierte im Sommer desselben Jahres mit dem „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen. Bereits seit 1941 stand Böhm überdies für den Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach als Nachfolger für den Wiener Staatsopernchef Heinrich K. Strohm fest, der an einer „Nervenkrankheit“ litt, was diesem als persönliche Schwäche ausgelegt und gegen ihn verwendet wurde. Böhms Wechsel von Dresden nach Wien musste nichtsdestotrotz noch intern ausverhandelt werden. Der Vorgang verzögerte sich somit, was Oliver Rathkolb wesentlich als Folge der Kompetenzstreitigkeiten interpretiert, die Minister Goebbels und von Schirach untereinander austrugen. Spätestens seit März 1942 stimmten Hitler und Goebbels aber darin überein, dass Böhm das Amt des Direktors der Staatsoper in Wien übernehmen solle. Böhms Berufung nach Wien konnte dann auch per 1. Jänner 1943 fixiert werden.

Bereits 1942 war Böhm häufiger zu Gastspielen nach Wien gekommen, wo er sich in einer Reihe von erfolgreichen Neueinstudierungen, etwa der „Entführung aus dem Serail“ und „Figaros Hochzeit“, der Musik Mozarts zuzuwenden begann. Damit befand er sich auf einer Linie mit der Kulturpolitik Baldur von Schirachs, der dem Publikum nicht nur eine hohe künstlerische Qualität, sondern auch identifikationsstiftende Angebote bieten wollte. Der Hintergrund für diese Akzentverschiebung, die von den Wagner-Opern hin zu Mozart führte, lag in einem Stimmungswandel beim Wiener Publikum, das sich zunehmend gegen „reichsdeutsche“ Solisten richtete. Auch wenn die Behauptung, dass die Staatsoper „ein heimliches Bollwerk des vereinnahmten Österreich“ gewesen sei, einer nachträglichen Stilisierung gleicht, wurden Ansätze zu einem „Österreich-Patriotismus“ doch zunehmend atmosphärisch spürbar. In dieser Situation bestand Böhms Rolle vor allem darin, diesen Stimmungsumbruch zu kanalisieren und damit beizutragen, das herrschende Regime zu stützen.

Ungeachtet dessen kam es in dieser Phase seiner Laufbahn vermehrt zu Konflikten zwischen Böhm und Repräsentanten des NS-Regimes. Diese entstanden vor allem deswegen, weil er seine künstlerische Autonomie bei der Auswahl von Künstler*innen (wie etwa beim Engagement der Sängerin Elisabeth Schwarzkopf) auszubauen suchte. Damit verärgerte er aber Goebbels, der ihn bislang gefördert hatte, sodass Böhms Ernennung zum Generalintendanten vorerst abgelehnt und gegen ihn eine sechsmonatige Rundfunksperre ausgesprochen wurde. Der Dirigent musste sich auch gegenüber dem „Reichsdramaturgen“ Rainer Schlösser verantworten. In seinem Bericht an Goebbels notierte dieser, dass Böhm „zumindest begriffen“ habe, „was die Stunde geschlagen hat“. Der Gemaßregelte habe aber „in der Tat darauf hinweisen“ können, „daß er unter den namhaften Dirigenten Deutschlands immer derjenige gewesen sei, der, wenn es sein mußte, auch Hals über Kopf sich zur Verfügung zu stellen bereit war“. Trotz dieser Friktionen war Böhm für das Regime offensichtlich weiterhin so wichtig, dass er im August 1944 in die von Hitler genehmigte „Gottbegnadeten-Liste“ der wichtigsten Dirigenten aufgenommen wurde. Während andere Künstler in der Endphase des Krieges noch eingezogen wurden, bewahrte Böhm die Nennung in dieser Liste vor einem Kriegseinsatz.

1943/44 scheint Böhm jedenfalls erkannt zu haben, dass die Tage des „Dritten Reiches“ gezählt waren, so dass er es nunmehr vermied, offen seine politische Unterstützung für die Machthaber kundzutun. Seine wiederholten Aufenthalte in der Schweiz, wo sein Sohn Karlheinz aufwuchs, ließen ihn in den Augen des Regimes als unzuverlässig erscheinen. So registrierte der Sicherheitsdienst der SS (SD) genau, dass er sich im Mai 1944 im Zuge eines Gastspiels in der Schweiz mit amerikanischen Journalisten, „worunter auch Juden waren“, für die Presse habe fotografieren lassen. In einer „politischen Beurteilung“ des SD vom 11. Jänner 1945 hieß es, dass Böhm „vor der Machtergreifung als judenfreundlich eingestellt“ gegolten habe. Seine politische Einstellung bewertete der SD als „undurchsichtig“. „Charakterlich“ werde er „als Egoist geschildert“. Dem so Dargestellten billigte Oliver Rathkolb zu, dass er wenigstens in der Endphase des Krieges die Zeichen der Zeit erkannt habe. Dies änderte für Rathkolb nichts an seiner Gesamteinschätzung Böhms als jenes Dirigenten, „der wohl am aktivsten als Nicht-NSDAP-Mitglied für ‚die Bewegung‘ Propaganda getrieben“ habe.

 

Karrierebruch und Entnazifizierung

Am 12. März 1945 wurde die Wiener Staatsoper durch einen US-Bombenangriff zerstört. Böhm soll damals mit einer Gehirnerschütterung, die er sich bei einem Sturz auf blankem Eis zugezogen hatte, gerade zu Hause gewesen sein; seine Frau Thea war zum Zeitpunkt des Angriffs in der Oper, blieb aber offenbar unverletzt. Als er hörte, dass die Oper brenne, machte er sich nach späterer eigener Aussage trotz seiner Verletzung zu Fuß auf in die Innenstadt. Dort stand er buchstäblich vor den Trümmern seines künstlerischen Schaffens. Seinem langjährigen Mentor und Freund Richard Strauss schrieb er einige Tage danach vom subjektiv empfundenen Ende der „Opernkultur“. Wenig später dürfte er sich mit seiner Frau an den Attersee zurückgezogen haben, wo er das Kriegsende erlebte.

Böhms Hoffnung, im Sommer 1945 bei den Salzburger Festspielen dirigieren zu können, erfüllte sich nicht. Vielmehr sah er sich als ehemals führender Repräsentant des NS-Kulturbetriebs einem sofortigen Dirigierverbot in Salzburg und Wien sowie einem Verfahren zur Entnazifizierung ausgesetzt. Die im Hauptquartier der US-Armee angesiedelte „Information Services Branch“ sah in Böhm einen Künstler, der als „leaning toward Nazism“ bekannt gewesen sei. Die US-Behörde warf dem Dirigenten konkret u. a. vor, dass er 1933 dem „NS-Kampfbund für deutsche Kultur“ beigetreten sei. 1938 habe er sich von Hitler mit dem Titel eines „Professors“ auszeichnen lassen, und 1943 sei er als Dirigent in einem Propagandafilm über die Berliner Philharmoniker aufgetreten. Andere Musiker wie Wilhelm Furtwängler hätten sich hingegen geweigert, an diesem Film mitzuwirken. Dass das Nicht-NSDAP-Mitglied Böhm bereits 1923 „a nazi at heart“ gewesen sei, belege überdies ein Interview, das er 1939 einem Journalisten gegeben habe.

Damit spielten die US-Kulturoffiziere auf das Buch „Künstler plaudern“ an, in welchem Böhm wie folgt zitiert wird: „In München hatte ich ein unvergeßliches Erlebnis: Es war an jenem denkwürdigen 9. November 1923, da die braunen Kolonnen Adolf Hitlers zum Marsch nach der Feldherrnhalle antraten. (…) dort spielten sich die erschütternden Ereignisse ab, die einen Markstein in der deutschen Geschichte bilden. Fiebernde Spannung lag in jenen Tagen über München, man ahnte, daß große Begebenheiten bevorstanden. (…) Plötzlich hallten Schüsse über den Platz, wir eilten zum Fenster und sahen die vor den mörderischen Kugeln zurückweichenden Nationalsozialisten. Unter ungeheurer Aufregung erlebten wir den Abtransport der Verwundeten, sahen Blut, das für die Idee vergossen wurde, die siegreich geworden ist.“

Böhm suchte sich gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zur Wehr zu setzen, indem er dem Fragebogen, welchen er im Zuge der NS-Registrierung ausfüllen musste, einen Anhang sowie eine Reihe von Zeugenaussagen beifügte, die durchwegs Böhms „österreichische“ Gesinnung betonten. Er selbst stellte vor allem seine Direktionszeit in Wien als jene Phase seiner Laufbahn dar, in welcher er seine Opposition gegenüber den Nationalsozialisten unter Beweis gestellt habe. So habe er sich in Wien stets für Künstler eingesetzt, die als NS-Gegner bekannt gewesen seien oder als „‚jüdisch versippt‘“ gegolten hätten. Auch sei der „Hitlergruß“ niemals in der Direktion der Wiener Oper angewandt worden. In einer ergänzenden „Eidesstattlichen Erklärung“ führte er schließlich aus, dass er sich nicht daran erinnere, jemals dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ beigetreten zu sein.

Böhm erlebte die Zeit seiner Entnazifizierung, in welcher er zum Nichtstun gezwungen war, in eigenen Worten so, als sei er „ein eingesperrtes Tier, das ruhelos auf und ab geht, weil es die Freiheit vermißt“; für ihn hätten damals „wirklich die Leidensstationen“ begonnen. Während Böhm offensichtlich keine Einsicht zeigte, was seine Involvierung in die NS-Kulturszene betraf, warfen zeitgenössische Medien ein umso grelleres Licht auf den „Fall Dr. Karl Böhm“. In der „Österreichischen Zeitung“ hieß es etwa, dass Böhm 1943 nach Wien berufen worden sei, um „die österreichische Kunst lahmzulegen oder, mit anderen Worten, sie wacker zu nazifizieren, worum der Generalmusikdirektor sich „auch tatsächlich redlich bemüht“ habe. Und das „Österreichische Tagebuch“ warf dem Dirigenten gar „künstlerische Prostitution“ vor, weil er wie kein anderer Dirigent „Orchester und Publikum bei jedem Auftreten mit erhobenem Arm“ begrüßt habe.

Während Böhm in seiner Heimatstadt Graz darauf wartete, dass er wieder zum Dirigieren zugelassen würde, beschäftigte ihn auch eine andere Angelegenheit, die ihm im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens zur Last gelegt wurde. Dabei ging es um eine von ihm in der NS-Zeit erworbene Villa in der Wiener Sternwartestraße 70 (18. Bezirk). Die prächtige „Villa Gessner“ des Otto-Wagner-Schülers Hubert Gessner hatte 1933 der als Privatier lebende Paul Regenstreif erworben, sie wurde ihm aber im Zuge der „Arisierung“ nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich entzogen. Nachdem sich vorübergehend u. a. ein Oberstleutnant der Wehrmacht in der Villa einquartiert hatte, wurde sie von der Gestapo beschlagnahmt, und zwar mit der Zielsetzung, sie künftig an eine prominente Persönlichkeit zu vergeben. 1942 bezogen schließlich der neu berufene Staatsoperndirektor Karl Böhm und dessen Frau Thea dank einer Intervention des Reichsstatthalters Baldur von Schirach ihr neues Domizil. Die Besitzrechte an der Villa gingen je zur Hälfte an die Eheleute Böhm.

In einem nach dem Krieg begonnenen Rückstellungsverfahren wurde als Zeitpunkt der Entziehung der „Villa Gessner“ der 27. März 1942 festgestellt. Damals hatte die Gestapo das Objekt beschlagnahmt und das Mobiliar abtransportiert. Demnach hatten Karl und Thea Böhm wenige Monate später aufgrund eines Kaufvertrages vom 24. September 1942 vom Deutschen Reich (Oberfinanzpräsidium Wien-Niederdonau) das Anwesen um 70.000,- RM erworben. In dem Verfahren gab der geschädigte Eigentümer Paul Regenstreif, der als „rassisch Verfolgter“ im März 1942 nach Ungarn geflohen war, folgende Erklärung ab: Das Ehepaar Böhm habe ihm über ihren Anwalt bereits anlässlich des Kaufes der Villa zugesichert, „sie würden mir die Liegenschaft nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches und nach meiner Rückkehr aus der Emigration rückerstatten und haben diese Zusage im Jahre 1946 auch eingehalten“. Im Zuge eines gerichtlichen Vergleichs, der am 23. Jänner 1947 abgeschlossen wurde, übertrugen Karl und Thea Böhm die Liegenschaft an den rechtmäßigen Eigentümer Paul Regenstreif. Das Ehepaar Böhm verpflichtete sich dabei, die Prozesskosten in Höhe von 400,- öS zu bezahlen.

Im Zuge der Rehabilitierung Böhms wurden zahlreiche der gegen ihn erhobenen Vorwürfe relativiert, so auch, dass er ein Profiteur der „Arisierung“ gewesen sei. Es kam ihm dabei zugute, dass er nie formell Mitglied der NSDAP gewesen war. Selbst der US-Kulturoffizier Otto de Pasetti betonte bereits im Dezember 1945, dass Böhm über ein hohes künstlerisches Ansehen verfüge und für den Aufbau der Grazer Oper herangezogen werden könne. Im Jänner 1947 wurde sogar festgestellt, dass der Dirigent am Wiederaufbau des kulturellen und musikalischen Lebens in Österreich insgesamt benötigt werde. Damit war der Weg für den Abschluss der formellen Entnazifizierung Böhms geebnet, der ab 1. Mai 1947 seines Dirigierverbots entbunden wurde.

 

Dirigent in der Zweiten Republik

Nach seiner Rückkehr auf das Dirigentenpult konnte Böhm den „Wiener Mozartstil“, den er ansatzweise bereits seit 1941 zusammen mit Oscar Fritz Schuh und Caspar Neher an der Wiener Oper entwickelt hatte, weiter perfektionieren. Neuerlich wirkte Böhm mit seinem künstlerischen Wirken auch politisch stabilisierend, wenn auch unter grundlegend veränderten Rahmenbedingungen. Diesmal ging es darum, „die Lieblichkeit des kleinen Österreich unter Beweis“ zu stellen und die österreichische Opferdoktrin kulturell abzustützen. Inszenierungen und Bühnenbilder hatten „zwar durchaus modernistische Züge, doch nur so weit, dass sie nicht die Musik und Gesangsinterpretation verdeckten“. Die politische Entscheidung, Karl Böhm für die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper am 5. November 1955 zu nominieren, sieht Oliver Rathkolb vor dem Hintergrund einer „typischen Auseinandersetzung um das kulturpolitische Szenario“. Unterrichtsminister Ernst Kolb hatte sich bereits für Clemens Krauss entschieden, der jedoch im Zuge einer Kampagne gegen ihn als „Verräter“ stigmatisiert wurde, weil er 1935 einem Ruf nach Berlin gefolgt war. Demgegenüber galt der „‚deutschnationale‘ Grazer Böhm doch als ‚österreichischer‘ als der ‚Verräter‘ des Jahres 1935“.

Die im Herbst 1955 begonnene „zweite Ära“ Böhm an der Wiener Staatsoper währte übrigens neuerlich nur kurz, denn bereits im folgenden Jahr erklärte er seinen Rücktritt als Operndirektor. Zuvor hatte er das Wiener Publikum nach seiner Rückkehr von einer Tournee mit dem Chicago Symphony Orchestra mit der von Journalisten kolportierten Aussage brüskiert, dass er seine internationale Karriere nicht dem Wiener Opernhaus opfern werde. Damit löste Böhm einen Sturm der Entrüstung gegen ihn aus, dem er schließlich weichen musste. Seine Karriere als Dirigent setzte er ungeachtet dessen weiterhin fort. Bis ins hohe Alter gastierte er an namhaften Opernhäusern in Europa und den USA; er dirigierte berühmte Orchester wie die Wiener und Berliner Philharmoniker und trat bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen auf, wo er neben dem tonangebenden Herbert von Karajan als die prägende Dirigentenpersönlichkeit galt. Die Stadtgemeinde Salzburg verlieh dem Dirigenten am 31. August 1964 die Ehrenbürgerschaft. Anlässlich seines 85. Geburtstags wurde am 28. August 1979 die ehemalige alte Winterreitschule im Kleinen Festspielhaus (heute Haus für Mozart) als Karl-Böhm-Saal benannt.

Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit als einer der wichtigsten Dirigenten des NS-Kulturbetriebs vermied Böhm. Zwar bekannte er in einem Interview mit dem deutschen Wochenmagazin „Die Zeit“ vom 15. Dezember 1978, dass er „ein Leben lang ein Sünder gewesen“ sei. Er habe „allerhand angestellt, gelogen und auch andere Dinge getan, die mir nicht zum Ruhm gereichen.“ Genauer wollte er sich hierzu allerdings nicht äußern, auch nicht auf eine entsprechende Nachfrage des Interviewers. Böhm verstand es in hohem Maße, sich als unpolitischer Künstler darzustellen, der „bewiesen zu haben“ glaubte, „auf welcher Seite“ er als Generalmusikdirektor in Dresden und Wien „immer gestanden“ sei. Seine Äußerungen in dem Buch „Künstler plaudern“, die ihm nach 1945 vorgehalten wurden, kommentierte er in seinen Erinnerungen so: „Dieser Satz ist so dumm, daß ich ihn ganz sicher nie gesagt habe. Aber da er in diesem Buch stand, hat man mir daraus den Strick gedreht.“

In dem oben zitierten Interview mit der „Zeit“ sorgte Böhm für eine öffentlich ausgetragene Kontroverse. Er hatte nämlich den in der NS-Zeit Emigrierten unterstellt, dass sie es eigentlich „besser“ gehabt hätten als er selbst. Während er mangels „Verbindungen nach London oder nach Amerika“ zu Hause geblieben sei, hätten sie „keine Bombenangriffe zu überstehen“ gehabt; „sie hatten Arbeit.“ Auf einen kritischen Leserbrief des Schriftstellers und Filmemachers Adolf Opel, der dem Dirigenten seine einstigen pronazistischen Äußerungen und Verhaltensweisen vorhielt, reagierte Böhm mit einer gerichtlichen Klage gegen den Leserbriefschreiber. Opel hatte Böhm mit dem „wetterwendischen“ Verhalten des „Herrn Karl“ von Qualtinger-Merz verglichen, was das Gericht als Ehrenbeleidigung des Dirigenten wertete. Opel wurde zu einer Geldstrafe von 8.000,- öS verurteilt.

Im Sommer 1981 leitete der fast 87-jährige Karl Böhm die Proben zur Oper „Elektra“ von Richard Strauss, die einer Verfilmung von Götz Friedrich zugrunde lagen. Noch während der Dreharbeiten verstarb Böhm am 14. August 1981 in Salzburg; seine Frau Thea, mit der er 54 Jahre verheiratet gewesen war, starb knapp zwei Monate später am 20. Oktober 1981. Karl und Thea Böhm wurden am Grazer Steinfeldfriedhof begraben.

 

Straßenbenennung

Am 15. April 1994 wurde im Gemeinderat ein Allparteienantrag auf Benennung einer bisher unbenannten Verkehrsfläche nach Karl Böhm debattiert. Der Antrag war eingebracht worden, da sich der Geburtstag Böhms im August 1994 zum 100. Mal jährte. „Der Name des weltberühmten Dirigenten, Prof. Dr. Karl Böhm, ist untrennbar mit seinen Verdiensten um die Salzburger Festspiele verbunden. Er war unumstritten während der Zeit seines Wirkens in Salzburg ‚der‘ Mozart-Dirigent.“ Da Böhm „während seiner Salzburg-Aufenthalte vornehmlich in einem Haus hinter dem Hotel ‚Steinlechner‘“ gewohnt habe und nun zwischen der Zufahrt zur Finanzlandesdirektion und der Bürglsteinstraße entlang des Aubaches eine Promenade angelegt worden sei, an der keine Liegenschaft mit einer Adressänderung zu berücksichtigen wäre, stellten die Gemeinderät*innen den Antrag, diese den Namen „Professor Dr. Karl Böhm – Promenade“ zu geben. Nach Prüfung durch die zuständige Fachabteilung und Beschlussfassung im Kulturausschuss und im Stadtsenat beschloss der Gemeinderat der Stadt Salzburg in seiner Sitzung vom 13. Juli 1994 einstimmig die Benennung des „Dr.-Karl-Böhm-Weges.