Kunst-Litfaßsäulen und Digiscreen 2022

Mehr als 250 Litfaßsäulen sorgen im öffentlichen Raum für aktuelle Infos aus dem Kulturleben. Die klassischen Annoncier-Säulen haben mit den drehbaren City-Light-Säulen und den digitalen City-Lights (Digi-Screens) zeitgenössische Geschwister bekommen. Im August 2022 werden Litfaßsäulen aller Art wieder zum temporären Kunstschauplatz. Die Stadt Salzburg, deren Kulturabteilung seit 2014 den Wettbewerb „Kunst-Litfaßsäulen“ ausschreibt, hat im Frühjahr in Zusammenarbeit mit dem Kunstbeirat, der Progress Werbung und der Kulturabteilung des Landes wieder zum Wettbewerb „Kunst-Litfaßsäulen“ eingeladen - heuer erstmals mit einem Jahresthema: „Community?!“

Aus 22 Wettbewerbseinreichungen wurden elf Wettbewerbssieger:innen für die künstlerische Gestaltung der Litfaßsäulen und Digitalen City-Lights von der Jury ausgewählt. 

Klassische Säulen

Isabell Rauchenbichler, INVISIBLE ARCHITECTURE

Isabell Rauchenbichler, geboren in Salzburg, absolvierte von 2006 bis 2014 ihr Studium der Bildenden Kunst an der Kunstuniversität Linz, in der Klasse für Malerei und Grafik bei Ursula Hübner. Seit 2014 werden ihre Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen in Österreich präsentiert, u.a. im Salzburger Kunstverein, in der fünfzigzwanzig, in der Galerie Sophia Vonier und zuletzt in der Stadtgalerie Salzburg Museumspavillon. Hier waren im Frühjahr 2022 in einer Duo-Schau mit dem Salzburger Maler Martin Steininger unter dem Titel „Die Augen bleichen dann immer gleich aus…“ fragile Installationen von Isabell Rauchenbichler zu sehen. 

Isabell Rauchenbichler beschäftigt sich einerseits mit der Architektur der Litfaßsäulen, die das Stadtbild mitprägen, als auch mit den vielen kleinen Initiativen und Menschen, die als „Säulen“ im Hintergrund daran arbeiten, Salzburg als wandlungsfähige Stadt, als lebendigen Körper zu gestalten. Die Arbeit besteht aus dem Schriftzug INVISIBLE ARCHITECTURE – VISIBLE IN HITECARTCURE, wobei der zweite Teil ein Anagramm des ersten bildet. ARTCURE als „Heilung“ durch Kunst und Heilung für die Kunst selbst, die sich einer ökonomischen Verwertung entzieht. HITEC bildet einen
paradoxen Wortteil, da der Begriff meist mit wirtschaftlichen Aspekten in Verbindung gebracht wird. Ein Experimentieren mit verborgenen verbalen
Bedeutungen die ihre visuelle Entsprechung findet: Die phosphoreszierende Folie lässt die Begriffe, umhüllt von einem transparenten
Schleier, im Dunkeln nachleuchten.

Beate Ronacher, Standing Around Too

Beate Ronacher, geboren in Salzburg, studierte in der Klasse für Bildhauerei bei Gelatin in Linz, lebt und arbeitet in Hallein. In ihren Installationen, Performances und Plakatinterventionen im öffentlichen Raum beschäftigt sie sich mit Körper, Material und Sprache. Für ihre Liegeperformance-Serie „Untitled (Fußfälle)“ wurde sie 2021 mit dem Gabriele-Heidecker-Preis ausgezeichnet und von einem Auto überfahren.

Beate Ronacher bezieht sich mit ihrem Projekt für die klassische Litfaßsäule auf untätiges Herumstehen und Verweilen an einem Ort, ohne besonderen Zweck und besonderes Ziel. „Standing Around Too“ solidarisiert sich mit dem Klischee des untätigen Nichts-Tuns, die Säule wird zum Komplizen einer gemeinschaftlichen, antikapitalistischen Zweckfreiheit. Das Spiel mit Sprache, mit Werbung und ihren Informationsträgern, mit politischen und historischen Begriffen und Phänomenen, mit Bedeutung, Sinn und Un-Sinn ist das Kernthema von Beate Ronachers  Plakatinstallationen.

Elena Ratzer & Ricarda Moser, Unsichtbar

Elena Ratzer
Elena Ratzer absolvierte die Fachoberschule für Gestaltung in Augsburg und studiert seit 2020 an der FH Salzburg Kommunikationsdesign. Über
das Malen und Zeichnen hinaus hat sie auch die digitale Welt und die Herausforderungen von reduziertem Design für sich entdeckt.

Ricarda Moser
Ricarda Moser besuchte in Innsbruck den Zweig Mediendesign der HBLA und studiert seit 2020 Kommunikationsdesign an der FH Salzburg. Gestaltung und Fotografie zählen schon immer zu ihren großen Leidenschaften. „Ich liebe es, Details in meiner Umgebung wahrzunehmen und
festzuhalten und dabei immer das Schöne im Alltäglichen hervorzuheben.“

Die beiden jungen Gestalterinnen Elena Ratzer und Ricarda Moser thematisieren mit ihrem Projekt „Unsichtbar“ ein Phänomen, das sich gerade durch die Corona-Pandemie verstärkt hat: Einsamkeit im Alter. „Man könnte diese Generation auch als die ‚unsichtbare Generation‘ beschreiben,
da sie häufig komplett isoliert wird und vergessen vom Rest der Gesellschaft lebt.“ Pasant:innen können die abgebildete ältere Person auf der Litfaß-Säule nur erkennen, wenn sie diese aus einiger Entfernung betrachten. Steht man zu nah dran, scheint sie unsichtbar und verschwindet förmlich. Der richtige Blickwinkel ist also entscheidend.

EXTASIER Kollektiv, Spuren der Öffentlichkeit – Anschmieren erwünscht

EXTASIER ist eine plurale Gruppe mit Headquarter in Salzburg, die sich aus den verschiedensten Disziplinen und Interessen zusammensetzt. Aus Liebe zum Aufbruch entstand das Kunstkollektiv EXTASIER.

Eine Gesellschaft bietet unzählige Wege und Orte als Individuum mit seiner Außenwelt in Verbindung zu treten und seine stürmischsten Gedanken
und Wünsche zu teilen. Genau diese Ausdrücke bleiben sichtbar, wenn die Bar am Abend schließt, die Zapfhähne zugedreht und die Sessel auf
die Tische gestellt sind. Das sind die Spuren des Aufeinandertreffens und des Verweilens. Es sind all diese „wir waren hier“ und „ich will Cookies“
neben Stickern und Kommentaren, Zeichnungen und Telefonnummern an den Wänden der öffentlichen Toiletten. Die Geschichten von hunderten Menschen, mit denen man am stillen Örtchen indirekt in Kontakt tritt. In unserer Arbeit werden sie nach außen getragen und als intimes Zeugnis einer pluralen Gesellschaft gezeigt. Wir rufen zur aktiven Mitgestaltung unserer Litfaßsäulen auf und lassen uns überraschen welche Monologe, Gespräche, Geschichten und Bilder darauf zu finden sein werden. Alles was es braucht sind Stifte und eine ruhige Minute mit unserem „stillen Örtchen“.

Peter Grosz & Andreas C. Steindl, Die schöne Stadt

Peter Grosz
Der in Dresden geborene Künstler Peter Grosz studierte von 1985 bis 1988 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Nach politischer Inhaftierung emigrierte er 1988 in die Bundesrepublik. Grosz arbeitet stets in einer prozesshaften Arbeitsweise, er schneidet, reißt, legt frei und trägt auf, eine Collage als eine Art Weg zur Bildfindung. Arbeiten des Malers befinden sich in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen.

Andreas C. Steindl
Andreas C. Steindl, geboren 1965 in Klosterneuburg, studierte Bildende Kunst an der Uni Mozarteum sowie Malerei und Grafik bei Pia Fries an der Akademie der Bildenden Künste München. Seine Bildsprache setzt sich häufig mit dem Ereignis des Malprozesses und selbstreferentiellen Pinselspuren auseinander. Werke von Andreas C. Steindl wurden und werden bei Ausstellungen in Deutschland und Österreich präsentiert. Der Künstler lebt und arbeitet in Salzburg.

Das grenzüberschreitende Künstlerduo Peter Grosz und Andreas C. Steindl gestaltete mit der gemeinsamen Arbeit „Die schöne Stadt“ eine abstrakte, aus bildnerischen Rhythmen aufgebaute Plakatfläche. Wie es den künstlerischen Arbeitsweisen der beiden entspricht, setzen sich die Fragmente von zuvor zerstörten Bildflächen zu einer neuen Gemeinschaft und einer gemeinsamen lyrischen Bildsprache zusammen:
Ein neuer Bildraum entsteht. Die Bildsequenzen fluktuieren dabei zwischen Fläche und Tiefe. Der Titel „Die schöne Stadt“ ist dem gleichnamigen
Gedicht Georg Trakls aus dem Jahr 1910 gewidmet; die Zeile vom Blick „ins farbige Leben“ wurde zur Inspiration für den Entwurf der Kunst-Litfaßsäule.

ART Trio IAM, Gedankenstille

Ines Pariente, Anna Khodorkovskaya und Magdalena Berger sind die Gründerinnen des Kunstkollektivs IAM. In ihrem Fokus steht der öffentliche
Raum – Natur ebenso wie Architektur. Die gebürtige Salzburgerin Magdalena Berger studiert seit 2018 „Plastische Konzeptionen / Keramik“ an der Kunstuni Linz. Konzepte für ihre Installationen, Plastiken und fotografischen Arbeiten erschließen sich aus einer intuitiven Praxis. Anna Khodorkovskaya studierte an der Moscow State University of Printing Arts und an der Akademie der bildenden Künste Wien. Für ihre Projekte verwendet sie unterschiedliche Techniken, von Mosaik über Malerei und Grafik bis hin zur Performance. Das Studium der Sozial- und Kommunikationspsychologie sowie der Kuration von Künsten führte Ines Pariente nach München, Berlin, Barcelona und Asien. Seit 2010 in Salzburg wohnhaft und stets weltweit ausgerichtet ist sie als Kunstakteurin und Kreateurin tätig.

In einer Welt der immer intensiveren Außenreize erinnert das ART Trio IAM an die heilsame Wirkung von Reduktion, Gedankenstille und Innehalten. Auf beruhigend dunkelgrünem Grund umrundet das Wort „Gedankenstille“, aufgeteilt in einzelne weiße Buchstaben, die Citylight-Säule. Der Inhalt bzw. das gesamte Wort erschließt sich den Betrachter:innen erst, wenn sie sich Zeit nehmen und zumindest eine ganze Umdrehung mitverfolgen. Als Einladung, die Gedanken tatsächlich zur Ruhe kommen zu lassen, hat das Künstlerinnentrio die Säulen-Installation durch einen dunkelgrünen Sessel erweitert: Wer will, kann der Wahrnehmung des Begriffs also eine direkte Umsetzung folgen lassen.

Johannes Kubin, Kitty Content

Johannes Kubin studierte von 1996 bis 2004 in der Klasse für Graphik und Multimedia an der Universität Mozarteum. Künstlerisch in Österreich tätig (bis 2009 in Salzburg, seither in Wien), führten ihn Projekte, Ausstellungen und Arbeitsaufenthalte u.a. auch nach Paris, Berlin, Vilnius und Budapest. Seit 2009 ist er Co-Veranstalter der Interventionsgastreihe „Kitty Corner“ in Wien. Als Künstler beschäftigt sich Johannes Kubin
mit gefundenen, scheinbar zufällig zerlegt und wieder zusammengefügten Materialien und Elementen aller Art. Groteske Assemblagen entstehen hierbei in den unterschiedlichsten Disziplinen. Analyse und Synthese nehmen in seiner Zugangsweise immer eine übergeordnete Rolle ein und kreieren verspielte Überraschungsmomente sowie scharfsinnigen Humor.

Überall im Internet begegnen uns süße, verspielte, liebeswerte, freche, aberwitzige Haustiere – vornehmlich Katzen –, die verallgemeinernd als
„cat content“ bezeichnet werden. Besonders die Katze ist ein Mitbewohner, den Herrchen oder Frauchen seit jeher gerne in aller Pracht abbilden
ließ, von ägyptischen Skulpturen bis zu den französischen Impressionisten. Das flauschig-süße, manchmal kitschig-niveaulose, manchmal einfach  nur saukomische Auftreten der omnipräsenten Memes sorgt nicht nur für kurzweilige Unterhaltung, sondern kann auch als tolerierte, ja geradezu gewünschte Unterwanderung der sozialen Medien gelesen werden – ein Phänomen, in dem sich das natürliche Bedürfnis im Menschen widerspiegelt nach bedingungslos geistloser Zerstreuung. Provokant steht nun die Frage im Raum, ob dieses niedere Verlangen auch auf die hohen Ansprüche der bildenden Kunst Anwendung finden darf. Möge das Salzburger Publikum sich selbst ein Urteil bilden!

Karin Fisslthaler, Our arms won’t get tired

Karin Fisslthaler, geboren 1981 in Oberndorf bei Salzburg, ist bildende Künstlerin, Video- und Filmemacherin sowie elektronische Musikerin. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit Fragen der medialen Repräsentation von Körper und Körpersprache und deren Rückwirkung auf eigene und kollektive Konstruktionen von Identität, Körper und Geschlechterkonstruktionen. Die Hauptarbeitsmaterialien ihrer Videos, Filme und Collagen sind dabei zumeist Found Footage und popkulturelle Artefakte. Karin Fisslthaler lebt und arbeitet freischaffend in Wien.

Ausgangspunkt der Gestaltung ist eine analoge, dreidimensionale Collage von Protestschildern von weltweiten Demonstrationen gegen den Ukrainekrieg. Diese gesammelten Bilder aus dem Internet wurden zu einem großen Protestzug arrangiert und für die Umsetzung auf der Litfaßsäule hochaufgelöst fotografiert. Die Verdichtungen und Schichtungen hunderter Schilder bilden einen räumlichen Eindruck, der durch die Form der Litfaßsäule verstärkt wird. „Das Spannende am Format der Litfaßsäule sehe ich in der Form; im Gegensatz zu einer flachen Plakatwand  kann das Motiv erst durch die Umkreisung und physische Bewegung der Betrachter:innen aktiviert und erfasst werden.“

Digitale Projekte

Christian Murzek, algorithm_waves

Im Zeitalter der Digitalisierung verbringen wir einen wesentlichen Teil unseres Lebens mit neuartigen Technologien– vielfach, ohne darüber zu
reflektieren bzw. diese zu hinterfragen was im Hintergrund tatsächlich mitläuft. KIs, das Metaverse, Augmented Reality, Web 3.0, NFTs und  Blockchains, sind, wie einst das Smartphone, schon längst bei uns im Wohnzimmer angekommen. Die inhaltliche Ebene von „algorithm_waves“ zeigt den binären Code eines Algorithmus, welcher in weiterer Folge der Grundbaustein für das Video ist. Die Codes werden durch diese Sichtbarkeit zum Gestaltungsmedium und ein Teil des gesellschaftlichen digitalen Diskurses.

Thomas Hörl & Peter Kozek in Zusammenarbeit mit Victor Jaschke, Lichthöhe

Eine Gruppe von Personen in Krinolinen gekleidet vor nächtlicher Bergkulisse: Ausgangsmaterial für „Lichthöhe“ ist ein gleichnamiger, ca. 30-minütiger Film, der im Rahmen von „Serpentine“ – einem Projekt für temporäre Kunstinterventionen entlang der Glockner Hochalpenstraße - entstanden ist. Zu sehen sind die Performer:innen, die zugleich auch als ausführende Filmcrew fungierten. Lichthöhe erkundet die Schichten eines Gesamtgebildes. Gleichzeitig verschiebt die Filmcrew die Perspektive auf das Gesehene: Sind die gestochen klaren Wolken am Himmel Ergebnis elaborierter Nachtdreh-Technik oder bloß verräterische Zeichen eines alten Filmtricks, der Amerikanischen Nacht?

Johannes Gierlinger, Barrikaden sind Brücken

Das Projekt ist Teil einer mehrjährigen Recherche, die ihren Ausgangspunkt in der Geschichte der Märzrevolution 1848 in Wien nimmt und beschäftigt sich mit dem revolutionären Charakter von Barrikaden. Johannes Gierlinger übersetzt Details aus historischen Lithographien mittels 3-D-Renderings in experimenteller, fragmentierter Form in eine Videoarbeit. Historische Kämpfe und Barrikadenelemente verschmelzen miteinander. Bezüge zu Formen der Unterdrückung und des Widerstandes als auch die Frage, wie weit die Ereignisse in die Gegenwart hineinwirken, kommen als Subtext von „Barrikaden sind Brücken“ zum Tragen.